AVE MARIA Kunstprojekt
Das AVE MARIA Kunstprojekt wurde zum ersten Mal beim 1.Ökumenischen Kirchentag 2003 in der Evangelischen St. Marienkirche am Alexanderplatz in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. 2005 folgten mehrere, erneut öffentlich geförderte Ausstellungen im Rahmen des Themenjahres „1000 Jahre Christentum in Brandenburg“ in Zusammenarbeit mit Kulturland Brandenburg e.V. Ein Jahr später konnte man eine umfangreiche Präsentation in der Evangelischen Christuskirche in Kassel-Wilhelmshöhe sehen, die durch ein vielfältiges Begleitprogramm inhaltlich ergänzt wurde. 2008 zeigte die Katholische Akademie in Münster die Ausstellung mit einer Reihe neu entstandener Werke. Von November 2011 bis Ende Januar 2012 war die Ausstellung mit Werken von 44 Künstlern im Museum in Peine zu sehen; im Anschluss daran (unter dem Titel „empfangen“) simultan an drei Ausstellungsorten in Meißen, in der Evangelischen Akademie, dem Meißner Kunstverein und der Katholischen St. Benno Kirche. 2013 folgte eine große Präsentation im Diözesanmuseum in Bamberg unter Einbeziehung von Arbeiten aus der Klassischen Moderne sowie alten Verkündigungswerken. Anlässlich der viermonatigen Laufzeit dieser Ausstellung fanden fünf Vorträge statt. Außerdem erschien zu der Bamberger-Ausstellung ein umfangreicher Katalog mit 196 Seiten und über 70 Farbabbildungen.
Beginn des christlichen Heilsgeschehens
Die „Verkündigung an Maria“ ist das Fundament des christlichen Heilsgeschehens. Im Lukas-Evangelium (Lk I,26-38) ist die Verkündigung der Geburt Jesu auf Maria konzentriert. Die durch das Kommen und Gehen des Engels gerahmte Texteinheit ist als dreiteiliger Dialog in einen begrüßenden, verheißenden und erklärenden Teil gegliedert, der mit der Annahme Mariens endet. Ihre Bereitschaft ist dabei weniger Ausdruck ihres Verstehens oder Wissens als vielmehr ihres Glaubens und Gottvertrauens. In diesem Kommunikationsgeschehen steht Maria exemplarisch für den offenen Menschen, der von Gottes Wort getroffen wird und auf seine Botschaft hört.
Beliebtes Motiv in der Kunstgeschichte
Die zentrale Schlüsselrolle der Verkündigung („wahrer Gott und wahrer Mensch“) erklärt die Häufigkeit der Darstellung in der Kunstgeschichte. Kaum ein anderes Thema hat seit fast 2000 Jahren die Phantasie der Künstler mehr angeregt und im wahrsten Sinne des Wortes beflügelt. Im 3.Jahrhundert beginnend, erfolgt im 5./6. Jahrhundert die ikonographische Fixierung des Motivs, dass der Erzengel Gabriel in der Regel von links kommt und Maria sitzend oder stehend seine Botschaft empfängt. Der Engel hält meist ein Zepter, Spruchband oder Lilienzweig in der Hand. Der Gottesmutter werden verschiedene Attribute und Symbole zugeordnet, wie z.B. Lilien, Rosen, Glasgefäß, Buch, Betpult, Bett, Spindel, Handarbeitskorb u.a.m.
In allen Epochen bemühten sich die Künstler darum das Verkündigungsgeschehen in ihre eigene Zeit zu übertragen. Gestaltungsmittel hierfür sind nicht nur die Kleidung, sondern auch Architekturzitate. So wird das Motiv in alle nur denkbaren Raumbezüge integriert: vor die Tore der Stadt; in eine Kirche; in einen geschlossenen Garten; in eine Klosterzelle; in einen Palast; in eine Ruine; in eine bürgerliche Schlafkammer oder in einen diffusen mit Wolken erfüllten Innenraum. Im Mittelalter wurde die Verkündigungsszene häufig mit einem reinen Goldgrund hinterlegt. Dadurch wurde die Begegnung zwischen Göttlichem und Menschlichem dem irdisch Zufälligen enthoben und das Mysterium ins zeitlos Transzendente entrückt. Im 20.Jahrhundert entstehen z.T. Werke, die ebenfalls auf eine Ortsbestimmung verzichten, und einige Künstler gestalten die Verkündigung an Maria völlig abstrakt.
Ökumenischer Aspekt der Ausstellung
Seit der Reformation wurde Maria teilweise im Kampf der beiden Konfessionen instrumentalisiert: Auf katholischer Seite wurde die Gottesmutter zuweilen offensiv anti-protestantisch als ‚Königin der Gegenreformation’ eingesetzt. Auf protestantischer Seite lehnte man dagegen anfänglich die Marienverehrung so radikal ab, dass es zu Bilder stürmenden Zerstörungen kam. Diese scharfen Gegensätze gibt es heute nicht mehr. Die Ausstellung lädt mit ihren, zum großen Teil die überkommenen ikonographischen Muster sprengenden Werken, auch zum Gedankenaustausch über das heutige Marien-Verständnis ein und unterstützt dadurch den ökumenischen Annäherungsprozess.
Kunst und theologische Reflexion
Die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler gehen neue, unkonventionelle Wege, um das Thema in unsere Gegenwart zu transformieren. Dabei wird die traditionelle Ikonographie durch neue zeitgenössische Verknüpfungen erweitert. Auch Zweifel und kritisches Hinterfragen tradierter und manchmal gedankenlos im eigenen Glauben konservierter Vorstellungen erhalten Raum und bilden den Anstoß für die künstlerische Auseinandersetzung. Jeder einzelne Künstler gibt mit seiner Arbeit eine individuelle Antwort auf die Frage nach seinem heutigen Verständnis des Verkündigungsgeschehens. Dem Betrachter erschließen sich vielleicht durch das eine oder andere Werk neue Denkansätze, neue Blicke auf vermeintlich Vertrautes.
Einbindung in die Region
Die Arbeiten stammen aus allen Kunstgattungen: Malerei, Grafik, Fotografie, Collage, Skulptur, Installation, Video und Ballett. Als Kuratorin strebe ich für den jeweiligen Ausstellungsort an, namhafte Künstler der Region in das Projekt einzubeziehen. Diese Ausstellung eignet sich besonders gut im Zusammenhang mit einem vielfältigen Begleitprogramm bei dem kunsthistorische, theologische, literarische und musikalische Schwerpunkte thematisiert werden. Durch den Dialog der modernen Werke mit ausgewählten Exponaten früherer Epochen wird der Wandel des Verkündigungsmotivs für den Besucher auf anregende Weise deutlich.
Dr. Sabine Maria Hannesen,
Initiatorin und Kuratorin des AVE MARIA-Projekts