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das münster
Artikel in Ausgabe: 2/2013
„Perspektivenwechsel.
Ave Maria – Die Verkündigung an Maria in modernen Kunstwerken“
Sonderausstellung im Diözesanmuseum Bamberg vom 22.3.–28.7.2013
Sabine Hannesen
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„Perspektivenwechsel.
Ave Maria – Die Verkündigung an Maria in modernen Kunstwerken“
Eine „Verkündigung an Maria“ ohne Maria und ohne Engel – ist das überhaupt möglich? Durchaus, wie einzelne moderne Verkündigungsdarstellungen in der Sonderausstellung des Diözesanmuseums Bamberg be- weisen. Spannend sind darüber hinaus auch die Werke der insgesamt 53 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler, in denen auf andere, unkonventionelle Weise das Thema der Verkündigung (Lukas-Evangelium 1,26-38) gestaltet ist.
Ausgewählte Exponate aus dem Domschatz und der Erzdiözese aus früheren Jahrhunderten machen in der Gegenüberstellung mit den modernen Werken den „Perspektivenwechsel“, d.h. den Wandel und die aktuelle Gestaltungs- vielfalt des Verkündigungsmotivs besonders deutlich. Die Spanne der modernen Arbeiten aus allen Kunstgattungen reicht von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis 2013.
Ernst Wilhelm Nays kraftvolles Gemälde von 1946 ist ein Beispiel für die Übergangsphase vom Figürlichen zum Ungegenständlichen. Aus der Klassischen Moderne ist außerdem Johannes Molzahn mit einem futuristischen Gemälde vertreten, Salvador Dali mit einer Bibelillustration sowie Johanna Schütz-Wolff mit einem eigenwilligen Linolschnitt. Neben farbintensiven Bildern (Bernd Zimmer), Übermalungen (Dietrich Stalmann) und narrativen Schilderungen (Manfred Hürlimann, Thomas Jessen, Sylvia Vandermeer) über eine immer stärkere bildliche Reduktion und Konzentration auf Gabriel und Maria (Heimo Ertl, Thomas Werk) sind viele neue Auffassungen des Verkündigungsgeschehens zu sehen. Einige von ihnen gehen bis zur Abstraktion (Karin Fleischer) oder sie geben das Geheimnis in Form einer Metapher wieder wie der Videokünstler Christoph Brech oder die Fotografin Monika Schulz-Fieguth. Auch die neuen Medien werden in die Darstellung integriert wie bei der Konzeptkünstlerin Gisela Weimann oder der Fotografin Monika Funke Stern. Der französische Choreograph Angelin Preljocaj inszenierte 1995 sogar ein Ballett „Annonciation“.
Altes Thema, neue Perspektiven – die „Verkündigung an Maria“ wurde tausendfach, doch immer wieder neu und anregend umgesetzt, wobei die traditionelle Ikonographie der Ausgangspunkt für die künstlerische Auseinandersetzung und für ihr kritisches Hinterfragen tradierter Vorstellungen ist. Das zur Ausstellung konzipierte Vortragsprogramm schlägt Brücken zwischen dem Motiv der Verkündigung in der modernen bildenden Kunst sowie theologischen und literarischen Aspekten des Themas. Dr. Sabine Maria Hannesen, Kuratorin der Ausstellung und Initiatorin des AVE MARIA-Kunstprojekts.
„Perspektivenwechsel“
Ave Maria – Die Verkündigung an Maria in modernen Kunstwerken
Sonderausstellung im Diözesanmuseum Bamberg vom 22.3.–28.7.2013
Sabine Maria Hannesen
Ist das Motiv der Verkündigung an Maria heute noch ein Thema für Künstler? Und wenn ja, wie gestalten sie es? Bleibt das Motiv auch ohne die Darstellung von Maria und dem Engel noch erkennbar? In der Ausstellung „Perspektivenwechsel. Ave Maria – Die Verkündigung an Maria in modernen Kunstwerken“ des Diözesanmuseums Bamberg geben 53 Künstlerinnen und Künstler mit ihren Werken ganz individuelle erstaunliche Antworten auf diese Fragen.
In der Ausstellung sind zeitgenössische Arbeiten sowie Werke aus der Klassischen Moderne mit ausgewählten Exponaten aus früheren Epochen aus dem Domschatz und der Erzdiözese Bamberg im Dialog vereint, wodurch der Gestaltungswandel für den Besucher besonders deutlich wird. Wie das den Künstlern und Künstlerinnen der Bamberger Ausstellung gelingt, soll im Folgenden anhand einiger Werke kurz vorgestellt werden.
Beginn des christlichen Heilsgeschehens
Das Lukas-Evangelium 1,26–38 stellt die wichtigste biblische Quelle dar, aus der die Künstler aller Epochen ihre Gestaltungsideen schöpften. Zudem bediente man sich schon früh auch apokrypher Texte oder der Beschreibungen aus der Legenda Aurea. Bei Lukas ist die Verkündigung der Geburt Jesu auf Maria konzentriert. Sie steht beispielhaft für den offenen Menschen, der von Gottes Wort getroffen wird und auf seine Botschaft hört.
Maria, eine junge, unverheiratete Frau erfährt bei dieser zunächst erschreckenden Begegnung, dass sie ein Kind bekommen soll, obwohl sie noch mit keinem Mann zusammen war. Sie reagiert auf dieses göttliche ‚Angebot’ ganz menschlich. Sie ist erschrocken, ablehnend, verwundert und zweifelt die Botschaft an.
Beliebtes Motiv in der Kunstgeschichte
Die zentrale Bedeutung der Verkündigung im Heilsgeschehen erklärt die Häufigkeit der Darstellung in der Kunstgeschichte. Kaum ein anderes Thema hat seit fast 2000 Jahren die Phantasie der Künstler mehr angeregt. Im 3. Jahrhundert beginnend, erfolgt im 5./6. Jahrhundert die ikonografische Fixierung des Motivs: Der Erzengel Gabriel kommt in der Regel von links und Maria empfängt sitzend oder stehend seine Botschaft. Der Engel hält meist ein Zepter, Spruchband, einen Botenstab oder Lilienzweig in der Hand. Der Gottesmutter werden verschiedene Attribute und Symbole zugeordnet wie z.B. Lilie, Rose, Glasgefäß, Buch, Betpult, Bett, Spindel, Handarbeitskorb, Wasserkrug u.a.m. Bis zum 20. Jahrhundert werden Gabriel und Maria auf allen Verkündigungsbildern bekleidet dargestellt.
Ort und Zeit des Geschehens
In jeder Epoche übertrugen die Künstler das Verkündigungsgeschehen in ihre eigene Zeit und integrierten das Motiv in alle nur denkbaren Raumbezüge. In der Frühzeit wurde das heilige Geschehen zur Steigerung der Transzendenz vor einem kostbaren Goldgrund abgebildet, später u.a. vor den Toren der Stadt, im „hortus conclusus“, in einem Kircheninnern, in einem prächtigen Palast, einer kargen Klosterzelle oder in einem bürgerlichen Schlafgemach mit einer Vielzahl häuslicher Details. Im Barock bricht der Himmel mit einer Heerschar von Engeln in Marias Wohnstube ein, so dass auch durch die formale Verschmelzung von himmlischer und irdischer Sphäre die Bedeutung eines rational nicht fassbaren Geschehens sichtbar gemacht wird.
In der Klassischen Moderne kommt es zu neuen Bilderfindungen, die die Grenzen des bisherigen ikonografischen Schemas sprengen. Dies wird einerseits durch eine immer stärkere Reduktion und Abstraktion der Figuren erreicht, aber auch durch neue Motivverbindungen. Nicht wenige Künstler nehmen sich jetzt die Freiheit, Maria und den Engel unbekleidet darzustellen.
Künstlerischer Freiraum und Traditionsverbundenheit
Die Verwandtschaft zum Schaffen früherer Generationen lässt sich selbst in den modernsten Werken nicht leugnen: Sie sind Teile unseres kollektiven kulturellen Gedächtnisses. Auch eine Negation früherer Ausdrucksformen bedeutet, dass der Künstler mehr oder weniger bewusst auf sie reagiert. Die Fülle der Vorbilder in der Kunstgeschichte stellt für jeden Künstler eine neue, große Herausforderung dar. Emil Wachter setzte sich in seinem künstlerischen Schaffen deshalb zum Ziel, er wolle „das, was hundertmal von anderen vor mir gemalt wurde, so malen, wie es noch keiner gemalt hat!“
Referenzen an alte Meister
Nach dem Zweiten Weltkrieg schien vielen Künstlern im Westen die Abstraktion der neue, zukunftsweisende Weg für ihr Schaffen zu sein. Auch Ernst Wilhelm Nay, der bis dahin eine abstrahierte Figürlichkeit bevorzugt hatte, öffnete sich immer mehr der gegenstandslosen Malerei. Der Künstler malte verschiedene Verkündigungsdarstellungen mit jeweils einer nackten Maria und einem nackten weiblichen Engel in einer Landschaft. Nay abstrahierte die Figuren in seinem Ölgemälde Verkündigung von 1946 noch stärker. Den Engel verwandelte er in eine weiß-blaue, kräftige Gestalt mit einem kleinen Tierkopf. Sinnbilder außerirdischer Erscheinungen aus unterschiedlichen Mythenkreisen faszinierten den Künstler zu dieser Zeit. In den Jahren nach 1945 hatte Nay zur Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse mit seiner sogenannten Hekate-Phase begonnen. Motive aus Mythos und Dichtung sowie biblische Themen fanden darin ihren Niederschlag. Das aus dieser Bilderserie stammende Werk markiert in Nays Oeuvre den Übergang vom Gegenständlich-Figurativen zum autonomen Bild.
Johannes Molzahn malte seine Annunciation (1962) in kubistisch-futuristischer Formsprache. Seine grafischen Linienstrukturen schaffen einen eigenwillig abschüssigen Bildraum. Durch die ovale Mundöffnung des ansonsten gesichtslosen Engels tut sich Gottes Botschaft kund. Marias schlanken Körper hat der Maler fast transparent gestaltet, so dass das quadratische Muster der Bodenfliesen sichtbar bleibt, während sich ihr das Himmelswesen in kompakter Körperlichkeit präsentiert. Maria scheint für Molzahn ein für Gott bis in ihre Seele ,durchschaubares‘ Geschöpf zu sein.
1991 malte Emil Wachter die St. Ursula Kirche in Rheinstetten-Neuburgweier komplett aus. Auf dem Verkündigungsfresko überreicht Gabriel Maria ungewöhnlicherweise eine weiße Rose. Der Engel kommt aus der Dunkelheit und bringt das Licht in die Welt, das der Künstler durch den sonnengelben Vordergrund veranschaulicht. Im Sturmschritt und mit fliegenden Rockschößen eilt er auf Maria zu. Gabriels Bekleidung wirkt wie ein Anzug mit vier Flügelspitzen, die sich mehrfach imposant nach hinten aufstellen und Bewegung und Energie veranschaulichen.
Im Zentrum von Stefan Pietrygas blauem Aquarell steht der Mensch, der in diesem Kontext auch als Vorausschau auf die Menschwerdung Christi gedeutet werden kann (2012). Durch eine schlichte Umrisslinie wird das Bildzeichen ,Mensch‘ generalisiert und eröffnet dem Betrachter die Möglichkeit, sich damit zu identifizieren. Der schmale Goldrand des Glases wirft – je nach Lichteinfall und Standort des Betrachters – eine wechselnde Silhouette auf das Büttenpapier und trägt damit wesentlich zur Lebendigkeit dieser Wandinstallation bei.
Konzentration auf Maria und den Engel
Heimo Ertls Bronzegruppe Schrecksekunde (2011) thematisiert die Überbringung der göttlichen Botschaft buchstäblich als Einbruch in die Welt. Der Engel durchdringt mit seinen mächtigen Schwingen die beklemmend enge Behausung. Fast senkrecht stößt er auf die bestürzt in der äußersten Ecke ihres Raumes sitzende Maria nieder, die erschrocken ihre Arme gegen den Eindringling erhebt: „Maria erschrak“, wie es bei Lukas heißt. Das betonte Hochformat der Skulpturengruppe sowie die heftige Gebärdensprache beider Figuren, die diagonal aufeinander bezogen sind, unterstreichen die Dynamik des Geschehens. Der freie Raum zwischen Maria und Engel verstärkt die Dramatik und der Schattenwurf des Engels verdoppelt seine furiose Annäherung. Für Maria gibt es kein Entweichen. Sie ist gemeint, gefragt und gefordert!
Auch Manfred Hürlimann weiß um die Spannung, die ein freier Raum schafft. Der weibliche Engel fliegt von rechts auf die am linken unteren Bildrand auftauchende Maria zu (2012). Die zweifach gemalte Hand des Engels veranschaulicht einen Bewegungsablauf. Die im Redegestus erhobene Hand entspricht der Handhaltung auf Verkündigungsdarstellungen seit dem 12. Jahrhundert. Mit halb geöffnetem Mund blickt Maria den Engel skeptisch an. Wie so oft auf Hürlimanns Bildern ist eine Gesichtshälfte verschattet. Die weiße Lilie hat sie sich dekorativ und zugleich selbstbezeichnend ins Haar gesteckt. Eine Art ,Zauberstab‘ bzw. ,Gedankenstrich‘ weist demonstrativ auf Maria.
Die Bildhauerin und Grafikerin Erika Schewski-Rühling nennt als Inspirationsquelle ihrer Papier-Collage (2007) Botticellis Verkündigung von 1489/90 (Uffizien, Florenz). Ihre Figuren bestehen ausschließlich aus gerissenen und geschnittenen Papierstreifen. Trotz dieser einfach anmutenden Technik spiegeln ihre Figuren den eleganten, anmutigen Bewegungsschwung der Vorlage wider: Ihre Collage ist ein fein nuanciertes Relief. Die leicht gewölbte Anbringung einiger Papierstreifen bewirkt ein reizvolles Lichtund Schattenspiel, das den Figuren Volumen verleiht und sie gleichzeitig strukturiert.
In ihren Textilarbeiten und Holzund Linolschnitten zeigt Johanna Schütz-Wolff ihren meisterlichen Umgang mit der Linie, so auch in ihrer Arbeit Maria mit dem Engel von 1953.
Die sparsamen Umrisslinien und zarten Binnenzeichnungen haben eine starke Aussagekraft: Engel und Frau bilden hier eine Einheit. Die Brisanz dieser Bildaussage wird dem Betrachter wohl erst auf den zweiten Blick klar. Beide Figuren sitzen einander so dicht gegenüber, dass ihre Körperlinien und Formen ganz ineinandergeschoben sind. Trotz der betonten Flächigkeit und der Schematisierung der Figuren vermitteln die sich mehrfach überschneidenden Linien Lebendigkeit und Innigkeit.
Thomas Werk, Maler, Zeichner und Bildhauer, betont hingegen bei seiner puristischen Verkündigungsdarstellung gerade die räumliche Trennung zwischen Maria und dem Engel (2005). Auf den voneinander abgesetzten quadratischen Flächen erkennt man zwei durch wenige, kräftige Blockstreifen angedeutete Figuren. Allein durch den Kontext und die jeweilige Körperhaltung interpretiert man die linke als Engel, die rechte als Maria.
Einzelne Motiv-Zitate aus traditionellen Vorlagen
Sylvia Vandermeer zitiert Tintorettos Verkündigungsengel. Auf seinem großflächigen Gemälde (um 1580, Scuola di San Rocco, Venedig) bricht der Himmel auf und der Erzengel versetzt Maria durch seinen von einer Engelsschar begleiteten Anflug in Angst und Schrecken. Bei Sylvia Vandermeer fliegt der Bote Gottes durch einen Großstadthimmel des 21. Jahrhunderts und überrascht eine junge Frau, die an einer Haltestelle auf ihren Bus wartet (2008). Beiden Darstellungen gemeinsam ist das Unerwartete. Ganz anders ist jedoch die Reaktion Mariens: Vandermeers Maria erschrickt nicht, sondern lächelt den Himmelsboten aus glänzenden Augen an. „Verkündigung“ – zu jeder Zeit und an jedem Ort möglich, mitten im Alltag eines jeden Menschen.
Das Verkündigungsgemälde von Orazio Gentileschi (1623, Galleria Sabauda, Turin) lieferte die Vorlage für die digitale Fotobearbeitung von Igor Borowski (2004). Diese Arbeit erinnert an eine immer wieder mit neuen Informationen überklebte Hauswand oder Litfaßsäule. Das, was dort über die Zeit ,verkündet‘ wurde, ist zum Teil schon wieder abgerissen worden oder hängt nur noch in unzusammenhängenden Papierfetzen von der Wand. Durch diese Überlagerungen entsteht der Eindruck mehrerer Zeitschichten, durch die Gentileschis Verkündigung nur noch bruchstückhaft im Heute sichtbar wird.
Auf Thomas Jessens Bild (2012/23) ist die Anleihe bei Simone Martinis Verkündigung (1333, Uffizien, Florenz), die wie von Geisterhand an der Wand erscheint, nur noch als verdeutlichende Analogie des Nachrichtenempfangs des jungen Mädchens am Apple-Computer und der biblischen Verkündigung zu verstehen.
Ob die Bereitschaft der Menschen, Gottes Wort wahrzunehmen, heutzutage noch ungebrochen vorhanden ist, hinterfragt die chilenische Künstlerin Lilian Moreno Sanchez in ihrer Arbeit (1997–98), die die kniende Figur des Engels aus einem Gemälde aus dem 15. Jahrhundert entnimmt (Alte Pinakothek, München). Gabriels Gegenüber ist nur noch ein mit Kohle gezeichneter Knochen – für die Künstlerin ein Symbol menschlicher Verletzlichkeit und ständiger Gefährdung.
Kommunikation durch das geschriebene Wort
Bei einem Kommunikationsprozess durch das geschriebene Wort gibt es einen „Sender“ und „Empfänger“. Auf diese Weise beziehen sich einige Arbeiten dieser Ausstellung auf die Vermittlung der Botschaft über das Wort in der Bibel und im Koran.
Das Wandobjekt von Irmtraud Klug-Berninger besitzt eine starke Raumpräsenz, so dass der Betrachter dem großen Buch wie einer Person gegenübertritt (2003–05). Entfaltet er die gelb gefassten Pergamentseiten, findet er im Zentrum des Buches den Verkündigungstext aus dem Lukas-Evangelium.
Monika Schulz-Fieguth fotografierte einen Pergamentkodex aus dem 13. Jahrhundert und entwickelte daraus die malerische Aufnahme Klosterbuch (2010), auf der sich die Seiten zu Flügeln verwandeln, aus denen die WortewiegeheimnisvolleRauchzeichenemporsteigen „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott […] und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14).
Die zweiteilige Stoff-Installation Himmel brechen von Sybille Loew regt zum interreligiösen Dialog an (2011). Anhand des Verkündigungstextes aus dem Koran wagt sie eine Gegenüberstellung von Christentum und Islam. Auf subtile Art interpretiert sie die Textstellen einmal durch die Goldfadenstickerei aus christlicher Sicht, als Zeichen der Ehrerbietung. Das andere Mal ist der Text mit den roten Fäden ein Hinweis darauf, mit welcher Vehemenz der Islam die christliche Behauptung ablehnt, Gott habe einen Sohn gezeugt
Kommunikation durch moderne Medien
In der heutigen Gesellschaft findet ein Dialog oft nicht mehr in Form einer persönlichen Begegnung statt. Ein Großteil der Nachrichtenübermittlung läuft über Handy, iPad, Computer oder moderne Medien. In diesem Zusammenhang wirkt gerade der Goldgrund auf Barbara Duisbergs Gemälde (2012) irritierend traditionell, im Gegensatz zu der zeitgemäßen Darstellung ihrer jungen Frau als Maria. Ihre Wahrnehmung ist ganz nach innen gerichtet, auf die Botschaft, die nur sie allein soeben über ihre Kopfhörer vernimmt.
In Anlehnung an die mittelalterliche Buchund Tafelmalerei hat die Konzeptkünstlerin Gisela Weimann Gabriel und Maria einer Verkündigungsgruppe eines Nürnberger Bildhauers aus dem 14. Jahrhundert im Diözesanmuseum in Bamberg ein Spruchband in die Hand gegeben (2013). In blauen Lettern steht darauf in unsere heutige Sprache übersetzt die biblische Grußformel zu lesen „http/// www.AVE-MARIA.komm“. Die im Internet gebräuchliche Endung „com“ ersetzt sie durch das Verbum „komm“, wobei offen bleibt, wem dieser Imperativ gilt.
Die nicht darstellbare Botschaft als Metapher
Der Video-Künstler und Fotograf Christoph Brech stellt in seinem Video Passage (2003) zwischen der Verkündigung an Maria und einem vom Licht getroffenen Wasserglas eine sensible Verbindung her. In dem Video seiner Atlantiküberquerung veranschaulicht er mit minimalistischen Mitteln das Wunder der Verkündigung. Das klare Glas Wasser wird zur Metapher für Maria. Minutiös langsam umwandert ein feiner Lichtstrahl das Glas, bis Sterne an seinem Rand aufblitzen und für einen kurzen Moment kleine Farbdiamanten im Raum tanzen. Dann wandert das Licht weiter und lässt das verwandelte Wasser zurück.
Auf Bernd Zimmers Gemälde L‘ Annunciazione I (2010/12) blitzt ein gleißend gelber Lichtstrahl diagonal durch das glutvolle Rot. Dieses malerische Werk ist nur noch Feuer und Kraft. Der Künstler löst seine unmittelbaren Natureindrücke von der Gegenständlichkeit und überführt sie in eine reine Farbmalerei, in der die Farben förmlich explodieren.
Auf einem marienblauen Sockel hat die Konzeptkünstlerin Svenja Hehner ein Kästchen montiert, das mit einer farbigen Lithografie zur Verkündigung aus dem 19. Jahrhundert bezogen ist. Ihre Arbeit trägt den Titel Marias Geheimnis (2003). Wenn der Besucher das Kästchen öffnet und hineinsieht, blickt er ,nur‘ in einen dunklen, scheinbar endlosen Sockelschacht. In der ,Pop-Metaphysik‘ Hehners symbolisiert diese Installation das zeitlos Geheimnisvolle der Verkündigung, das sich weder mit den Augen erkennen noch mit dem Verstand ergründen lässt.
Ineinandergreifen verschiedener Kunstgattungen
Die dreiteilige Verkündigungsmitschrift von Karin Fleischer (2005) verbindet drei Kunstgattungen miteinander: Poesie, Musik, Malerei. Ausgangspunkt für die Entstehung dieses Triptychons sind das Verkündigungsgedicht von Rainer Maria Rilke und dessen Vertonung durch Paul Hindemith. Karin Fleischer fertigt seit Jahren Simultan-Zeichnungen zu zeitgenössischer Musik an. Das mittlere Blatt mit den dramatisch ineinander verflochtenen Linien umschreibt z.B. Marias Erschrecken über die verwirrende Nähe des jünglingshaften Engels und das Zusammenschlagen ihrer beider Blicke, das beide, gleich einem Liebespaar, die Welt um sich vergessen lässt.
Das Ballett Annonciation für zwei Tänzerinnen des französischen Choreographen Angelin Preljocaj wurde 1995 in Lausanne uraufgeführt. Die Aufführung ist stellenweise mit der sogenannten Crystal music von Stephane Roy unterlegt sowie mit Musikausschnitten aus Antonio Vivaldis Magnificat. Die „Crystal“-Töne haben Geräusch-Charakter und blenden das Rufen spielender Kinder auf der Straße ein, die zu Maria vordringen. Die Begegnung findet innerhalb des hortus conclusus statt. Maria erwacht vom jungen Mädchen zur Frau. In einigen Tanzszenen greift Preljocaj deutlich auf die traditionelle Ikonografie aus der Kunstgeschichte zurück. Der Choreograf erweitert die vertrauten Gesten z.B. durch einen Pas-de-deux und einen keuschen Kuss, wodurch die Kluft zwischen himmlischem und irdischem Wesen aufgehoben wird.
Zusammenfassung
Die vielfältigen Exponate der Ausstellung zeigen, dass die Verkündigung an Maria für zeitgenössische Künstler nach wie vor ein reizvolles Thema ist. Sie loten ihren kreativen Freiraum fantasievoll nach allen Seiten aus. Bei vielen Werken bleibt das traditionelle Schema noch erkennbar. In stilistisch veränderter Form bearbeiten und übertragen sie das Geschehen in ein modernes Umfeld oder konzentrieren die Begegnung ohne realistische Raumangaben auf Gabriel und Maria. Einige Künstler gestalten das Motiv allein durch Schrift oder durch die Einbindung neuer Medien. Viele Künstler sind der Auffassung, dass dieses Geheimnis nur noch annäherungsweise durch eine Metapher wiedergegeben werden kann. Ein Großteil der im Diözesanmuseum ausgestellten Arbeiten zeigt nicht nur Erweiterungen in der traditionellen Ikonografie, sondern auch buchstäblich einen „Perspektivenwechsel“ und dadurch einen neuen Blick auf das Verkündigungsgeschehen.
Der umfangreiche Katalog mit 196 Seiten (Redaktion Prof. Dr. Heimo Ertl) enthält über 70 Farbabbildungen aller Exponate sowie alle Vorträge, die in dem zur Ausstellung konzipierten Vortragsprogramm Brücken schlagen zwischen dem Motiv der Verkündigung in der modernen bildenden Kunst, der Theologie und der modernen Literatur. Eine Besonderheit: Die meisten Künstler haben in dem Katalog einen persönlichen Kommentar zu ihrer Verkündigungsarbeit geschrieben.
Ausstellungskuratorin:
Dr. Sabine Maria Hannesen, Kunsthistorikerin, Berlin
Initiatorin des AVE MARIA-Kunstprojektes
www.sabine-hannesen.de
Katalog in der Ausstellung 15 Euro, ISBN 978-3-931432-32-4
Vernissage – Die Zeitschrift
Artikel vom 25.03.2013
„Perspektivenwechsel.
Ave Maria – Die Verkündigung an Maria in modernen Kunstwerken“
Sabine Hannesen
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„Perspektivenwechsel.
Ave Maria – Die Verkündigung an Maria in modernen Kunstwerken“
Eine „Verkündigung an Maria“ ohne Maria und ohne Engel – ist das überhaupt möglich? Durchaus, wie einzelne moderne Verkündigungsdarstellungen in der Sonderausstellung des Diözesanmuseums Bamberg be- weisen. Spannend sind darüber hinaus auch die Werke der insgesamt 53 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler, in denen auf andere, unkonventionelle Weise das Thema der Verkündigung (Lukas-Evangelium 1,26-38) gestaltet ist.
Ausgewählte Exponate aus dem Domschatz und der Erzdiözese aus früheren Jahrhunderten machen in der Gegenüberstellung mit den modernen Werken den „Perspektivenwechsel“, d.h. den Wandel und die aktuelle Gestaltungs- vielfalt des Verkündigungsmotivs besonders deutlich. Die Spanne der modernen Arbeiten aus allen Kunstgattungen reicht von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis 2013.
Ernst Wilhelm Nays kraftvolles Gemälde von 1946 ist ein Beispiel für die Übergangsphase vom Figürlichen zum Ungegenständlichen. Aus der Klassischen Moderne ist außerdem Johannes Molzahn mit einem futuristischen Gemälde vertreten, Salvador Dali mit einer Bibelillustration sowie Johanna Schütz-Wolff mit einem eigenwilligen Linolschnitt. Neben farbintensiven Bildern (Bernd Zimmer), Übermalungen (Dietrich Stalmann) und narrativen Schilderungen (Manfred Hürlimann, Thomas Jessen, Sylvia Vandermeer) über eine immer stärkere bildliche Reduktion und Konzentration auf Gabriel und Maria (Heimo Ertl, Thomas Werk) sind viele neue Auffassungen des Verkündigungsgeschehens zu sehen. Einige von ihnen gehen bis zur Abstraktion (Karin Fleischer) oder sie geben das Geheimnis in Form einer Metapher wieder wie der Videokünstler Christoph Brech oder die Fotografin Monika Schulz-Fieguth. Auch die neuen Medien werden in die Darstellung integriert wie bei der Konzeptkünstlerin Gisela Weimann oder der Fotografin Monika Funke Stern. Der französische Choreograph Angelin Preljocaj inszenierte 1995 sogar ein Ballett „Annonciation“.
Altes Thema, neue Perspektiven – die „Verkündigung an Maria“ wurde tausendfach, doch immer wieder neu und anregend umgesetzt, wobei die traditionelle Ikonographie der Ausgangspunkt für die künstlerische Auseinandersetzung und für ihr kritisches Hinterfragen tradierter Vorstellungen ist. Das zur Ausstellung konzipierte Vortragsprogramm schlägt Brücken zwischen dem Motiv der Verkündigung in der modernen bildenden Kunst sowie theologischen und literarischen Aspekten des Themas. Dr. Sabine Maria Hannesen, Kuratorin der Ausstellung und Initiatorin des AVE MARIA-Kunstprojekts.